Germany Finance Im Interview mit Stefan Maassen und Carsten Huth geben die beiden Manager der Deutschen Börse Group einen Überblick über die aktuellen Entwicklungen am privaten und öffentlichen Kapitalmarkt.
Herr Maassen, Herr Huth, Ihr Report beschäftigt sich mit der zunehmenden Aktivität von sogenannten Crossover-Investoren – können Sie den Hintergrund des Reports und die Relevanz von Crossover-Investoren erst einmal genauer erläutern?
Maassen: Zur besseren Einordnung ist es hilfreich, zunächst auf die unterschiedlichen Kapitalmärkte einzugehen. Kapitalanlagen lassen sich grundsätzlich in „Private Assets“, also Werte, die nicht über eine Börse öffentlich verfügbar sind, und „Public Assets“, also börsengehandelte Werte, unterscheiden. Beide Kapitalmärkte bewegen sich seit mehreren Jahren aufeinander zu. Wachstumsunternehmen bleiben tendenziell länger am privaten Kapitalmarkt und kommen zu einem etwas späteren Zeitpunkt an die Börse. Zudem verschmelzen die Anlageklassen zunehmend auch aus Investorensicht, so dass Private und Public Capital Markets immer stärker miteinander vernetzt sind. Ein Crossover-Investor ist also genau an der Schnittstelle der beiden Märkte aktiv und investiert in beiden Märkten.
Huth: In den letzten Jahren haben sich Crossover-Investoren immer stärker zu treibenden Akteuren im Venture- und Tech-Ökosystem entwickelt. So ist im Jahr 2021 das Volumen von Crossover-Investments an VC-Deals auf ein Allzeithoch von mehr als 60 Mrd. USD weltweit und mehr als 6 Mrd. USD in Europa gestiegen. Die zunehmende Bedeutung von Crossover-Investoren haben wir punktuell bereits als Finding in unserem vorangegangenen Report „The road to IPO and beyond“ aufgenommen, den wir ebenfalls in Partnerschaft mit Dealroom.co veröffentlicht haben. Trotz der weiter gestiegenen Relevanz gab es jedoch bisher nur sehr wenige dedizierte Untersuchungen zu dieser Investmentstrategie. Genau hier setzt unser neuer Report an und liefert einen genaueren Blick auf die Auswirkungen auf den europäischen Venture und IPO-Markt.
Crossover-Investoren können also eine Brücke zwischen privaten und öffentlichen Kapitalmärkten bilden. Welche Auswirkungen hat das auf den IPO-Markt?
Huth: Es gibt eine Vielzahl von Investorentypen, die eine Crossover-Investment-Strategie verfolgen, beispielsweise Hedge Funds, Asset Manager und Private Equity. Charakteristisch für eine Crossover-Strategie ist dabei, dass das initiale Investment oft in einer der letzten Finanzierungsrunden am Private Market stattfindet. Gefolgt von einem Follow-on Investment zum IPO und nach erfolgtem Listing (post-IPO). Crossover-Investoren zeigen in der Regel eine größere Flexibilität hinsichtlich der Investitionskriterien und Strukturen, wie beispielsweise beim Anteilsbesitz, Mitwirken über Aufsichtsratsmandate und Haltedauer. Neben diesen Aspekten ist besonders erwähnenswert, dass Crossover-Investoren oft Zugang zu signifikantem Kapital haben, was sie vor allem in spätphasigen Finanzierungsrunden zu spannenden Partnern von Wachstumsunternehmen macht.
Maassen: Zudem verfügen sie meist über komplementäre Erfahrungen und Netzwerke zu eher frühphasigen Investoren. Viele Crossover-Investoren haben eine Präferenz für den IPO und dedizierte IPO-Readiness-Experten im Team, die operativ die Kapitalmarktfähigkeit unterstützen können. Das unterstreicht der Report, in dem er aufzeigt, dass bei fast 25 Prozent der europäischen Tech-Listings in den letzten drei Jahren ein Crossover Investor investiert war. Zudem gehen Unternehmen mit mindestens einem Crossover Investor 2,3 mal häufiger an die Börse und weisen dabei eine um 148 Prozent höhere durchschnittliche Bewertung auf, als Unternehmen ohne Crossover-Investor.
Welche europäischen Crossover-Investoren gibt es und was sind top Sektoren, in denen sie investiert sind?
Maassen: Die meisten Crossover-Investoren kommen aus den USA oder Asien, viele haben jedoch europäische Büros und lokale Teams etabliert, beispielsweise Coatue (USA), Temasek (Singapur), BlackRock (USA), GIC (Singapur) oder TCV (USA). Als europäische Crossover-Fonds sind vor allem Baillie Gifford (Schottland), Axa Investment Manager (Frankreich) und Jupiter (UK) zu nennen.
Huth: Starker Fokus bei Crossover-Investments in Europa haben insbesondere Fintechs mit einem Gesamtbetrag von 6,4 Mrd. USD im Zeitraum 2016-2022. Mit deutlichem Abstand folgen die Sektoren Impact 1,8 Mrd. USD), Deep Tech (1,7 Mrd USD) und Health (1,6 Mrd. USD) im gleichen Zeitraum. Unter den deutschen Wachstumsunternehmen mit einem Crossover Investor sind viele erfolgreiche Unternehmen, wie beispielsweise Celonis, Trade Republic, N26, FLIX und wefox.
Abschließend möchten wir gerne noch aus der Perspektive des Finanzplatzes auf diese Entwicklung blicken. Welche Maßnahmen sollte der Standort Frankfurt ergreifen, um seine Position zu stärken?
Maassen: Wir sehen im deutschen Kapitalmarkt sehr großes Potenzial, welches mobilisiert werden muss – insbesondere auf der Nachfrage-Seite. Es gibt zu wenige institutionelle Investoren aus Deutschland, die am Primärmarkt aktiv sind – und zu wenig Partizipation von Privatanlegern. Die Deutsche Börse hat mit dem im September 2021 veröffentlichten White Paper „Strategien zur nachhaltigen Finanzierung der Zukunft Deutschlands“ eine fundierte Analyse der Leistungsfähigkeit des deutschen Kapitalmarktes sowie notwendiger Maßnahmen veröffentlicht.
Der aktuelle Referentenentwurf des Zukunftsfinanzierungsgesetzes geht in die richtige Richtung und adressiert wichtige und richtige Punkte für die Verbesserung der Rahmenbedingungen für Börsengängen in Deutschland. Jetzt ist aber wichtig, dass diese Rahmenbedingungen auch konsequent umgesetzt werden. Darüber hinaus brauchen wir mehr Anstrengungen, um die Nachfrageseite in Deutschland zu stärken und die Aktienkultur nachhaltig zu verbessern. Hier ist insbesondere die Aktienrente zu nennen und deren enormes Mobilisierungspotential für Kapital.
Huth: Der Fokus der politischen Initiativen der letzten Jahre lag insbesondere auf der richtigen und wichtigen Stärkung der Venture-Capital-Finanzierung in Deutschland und Europa. Hier hat sich viel getan mit über 150 Unicorns in Europa, 30 davon in Deutschland. Das Tech-Ökosystem ist spürbar gereift in den letzten Jahren. Dies betrifft jedoch vor allem die Startup-Finanzierung in der Frühphase. In der Spätphase fehlen nach wie vor deutsche und europäische Investoren. Mehr spezialisierte Crossover Investoren aus Europa könnten einen wichtigen Beitrag zur Reduzierung des „Late-Stage Funding Gaps“ beitragen und die IPO-Pipeline stärken.
Stefan Maassen ist Head of Capital Market & Corporates bei der Deutschen Börse Group. Carsten Huth ist Vice President of Venture & Growth Financing der Deutschen Börse. Beide Manager sind Autoren des Reports „The Impact of Crossover Investors – Bridging Private and Public Markets”, der die Bedeutung von Crossover-Investoren für den Kapitalmarkt detailliert beleuchtet.